Gastro, quo vadis!

Giacomo Mazzarella in der Küche seines Restaurants San Leo

New Work, Industrie 4.0, neue Mobilität: Wir machen uns viele Gedanken darüber, wie die Zukunft wird. Gibt es solche Überlegungen auch zum Essen? Wie sieht sie aus, die „Gastronomie der Zukunft“? Wie futuristisch kann Essen sein? Bergische Gastronomen geben über­raschende Antworten.

Suchen wir nach der Zukunft der Gastronomie oder der Gastronomie der Zukunft? Der Duden definiert den Begriff „Gastronomie“ erstens als „Gaststättengewerbe“, das ist die „Gesamtheit der Gaststättenbetriebe als Erwerbszweig“. Zweitens als „feine Kochkunst“ und drittens als „Gaststätte, gastronomischer Betrieb“. Zukunfts-Szenarien können sich also auf das Metier, die Speisen oder die Lokalität beziehen – da bleibt viel Spielraum. Zudem individuell. Sicher auch situationsabhängig. Nach der Gastronomie der Zukunft gefragt, antworten manche vor dem Hintergrund politischer Entwicklungen. Internet-Suchmaschinen liefern zuerst Schlagwörter wie Eintrittsgeld, Gedeckgebühr und Mehrwertsteuererhöhung. Weiter unten in der Treffer-Liste geht es um „Digitale Assistenz im Restaurant“ – technologische Entwicklungen und künst­liche Intelligenz machen eben auch vor der Gastronomie nicht Halt. Ebenso wenig wie Umwelt-Aspekte.

„Wir sind heute viel experimentierfreudiger als die Generationen vor uns.“

Ulrich Heldmann

Im Trend liegen zurzeit vor allem saisonale und regionale Küche, außerdem nachhaltige Lebensmittelproduktion sowie das Thema Abfallvermeidung bei der Zubereitung: „zero waste“ und „from nose to tail“ sind beliebte Schlagwörter. Ebenso wichtig ist die Vielfalt auf der Speisekarte auch für Veganer, Vegetarier und Menschen mit Unverträglichkeiten. Mancher Blick richtet sich auf Neuheiten wie Nahrungsmittel auf Insektenbasis, im Glas gezüchtetes Fleisch oder Pilzprotein als Ersatz für Milch- und Fleischprodukte. Pflanzliche Milch­alternativen haben sich schon etabliert. Wird unser Essen künftig tatsächlich ganz anderen Ursprungs und kaum mehr das sein, was wir seit jeher kennen? Bergische Küchenchefs sehen das nicht so.

Ulrich und Petra Heldmann vom Remscheider Restaurant
„Heldmann & Herzhaft“
Das Dinner als Erlebnis: Ulrich und Petra Heldmann vom Remscheider Restaurant „Heldmann & Herzhaft“ Foto: Süleyman Kayaalp

Richtungswechsel
Top-Gastronom Serkan Akgün, Inhaber des Wuppertaler Sterne-Restaurants „shiraz“, sieht sich und seine Kollegen als Botschafter nachhaltiger Gastronomie-Entwicklungen. „Ich möchte Gäste wieder an qualitativ hochwertige und mit Bedacht zubereitete Speisen heranführen.“ Vor allem bei den jüngeren Generationen könne der Eindruck entstehen, Nahrungsherstellung müsse vor allem schnell gehen, möglichst kostengünstig und in aller Vielfalt permanent verfügbar sein. „Das hat keine Zukunft“, sagt Akgün. „Es gibt zu viele, die viel und billig essen wollen.“ Massentierhaltung, Überzüchtung sowie fragwürdige, teils künstlich hergestellte Inhaltsstoffe seien die Folgen und führten zu massiver Belastung für Umwelt und Klima.

Parallel gingen Geschmack, Güte, Genuss und die Wertschätzung für den gesamten Entstehungsprozess der Speisen verloren. Für Akgün heißt Zukunft der Gastronomie deshalb: zurück zur Tradition. „Man sollte Essen wieder genießen, es zelebrieren.“ Wie in alten Zeiten, als am Wochenende die ganze Familie am Tisch zusammenkam, um den mit Liebe und über viele Stunden zubereiteten Sonntagsbraten zu verspeisen. „Das war damals etwas Besonderes. Wir haben uns dafür Zeit genommen.“ Ein hoher Preis für Fleisch sei seinerzeit normal gewesen, ebenso die Konsequenz, dass man sich dieses vergleichsweise selten gönne. „Das wäre auch in der heutigen Zeit angemessen. Ich halte es sogar für sinnvoller als Vegetarismus.“ Was Aromen angeht, sieht Akgün einen Trend darin, Gäste mit der Kombination verschiedener, auf den ersten Blick konträrer Komponenten zu überraschen: salzig, bitter, süß, sauer, scharf. „Mit Pairing schaffen wir neue Geschmackserlebnisse. Das macht den Gästen und uns Spaß. Nur immer die eine Richtung wäre doch langweilig.“

„Es gibt zu viele, die viel und billig essen wollen.“

Serkan Akgün

Menschen auf dem Weg von dem reinen Lebensmittel hin zu einem abgerundeten Menü mitzunehmen, hält auch Ulrich Heldmann für ein zeitgemäßes Konzept. Gemeinsam mit seiner Frau Petra betreibt er inzwischen im 29. Jahr das Remscheider Restaurant „Heldmann & Herzhaft“ und bietet Koch- und weitere Events an, um die Gäste mit Ursprüngen und Zubereitungsarten vertraut zu machen. „Sie wollen abgeholt werden, statt sich einfach an den Tisch zu setzen“, sagt Petra Heldmann. Ausschließlich Speisen zu reichen, genüge nicht mehr. Man müsse besondere Erlebnisse kreieren und die Gäste zusammenführen. Bei Wine Tastings, Kunstveranstaltungen mit Kanapees, Küchenpartys, am Langen Tisch.

Serkan Akgün (li.), Inhaber des „shiraz“, mit Koch Alexander Hoppe.
Zurück zur Tradition: Serkan Akgün (li.), Inhaber des „shiraz“, mit Koch Alexander Hoppe. Foto: Malte Reiter

Trends erkennen
Und auch die Remscheider Gastronomen, die sich fast zwanzig Jahre lang einen Stern erkocht hatten, integrieren ausgesuchte Food-Trends in ihr Angebot. Globalisierungsbedingt kommen immer mehr Nahrungsmittel und Gewürze aus dem asiatischen und afrikanischen Raum, wie Ulrich Heldmann schildert. Zudem würden zunehmend vegetarische und vegane Gerichte aufgetischt. Die Gäste nähmen die hauseigenen Kreationen sehr gut an: Linsen-Dal, Sellerie-Ravioli, Hirseknödel mit Pilzgulasch. Das Aroma bekommt Letztgenanntes dank Zitronenschale, Kreuzkümmel, Knoblauch und geräucherter Paprika. „Wir sind heute viel experimentierfreudiger als die Generationen vor uns. Meine Großmutter hat sich kaum getraut, Lamm mit Curry zu würzen.“ Was seinerzeit zu exotisch war, ist heute in Mode. Hauptkriterium: „Es muss schmecken“, sagt Peter Heldmann, dessen Gäste sich zwischen einer und drei Stunden Zeit für den Restaurantbesuch nehmen sollten.

An die eigene Großmutter denkt auch Giacomo Mazzarella oft, wenn er kocht – und das macht der Inhaber des kleinen, feinen Lokals „San Leo“ im Wuppertaler Luisenviertel seit 35 Jahren. Wie funktioniert sein Gespür dafür, was den Gästen von morgen schmeckt? Seine Antwort ist überraschend schlicht: „Ich koche einfach und probiere so lange aus, bis ich denke, dass es passt.“ Mit „kochen“ meint er eine manuelle und ursprüngliche Lebensmittelverarbeitung, die zu Omas Zeiten noch an der Tagesordnung war, heute aber vielfach aus Zeit- und Kostengründen entfällt. Nicht so bei Mazzarella. Für ihn ist es Wertschätzung, Knoblauch selbst zu schälen, statt geschälte Exemplare zu kaufen. Seine Lasagne bereitet er à la minute pro Teller zu, statt einen portionierten Auflauf vorzuhalten. Sein Brot ist selbstgebacken, der eigens hergestellte Teig zuvor mit eigens gezogener Hefe aufgegangen.

„Ich entwickle mein Essen geschmacklich weiter, mache aber keinen Trend mit. Bei mir ist es immer authentisch.“

Giacomo Mazzarella

„Ich möchte das Ursprüngliche bewahren“, sagt der Gastronom, der am liebsten einen eigenen Gemüsegarten hätte. Er verzichtet vollständig auf Ge­schmacks­verstärker, bevorzugt Wildfang gegenüber Zuchtfisch, serviert Tiere am liebsten im Ganzen und schätzt Traditionsrezepte. „Eine Carbonara besteht bei mir aus Guanciale, Pecorino und Pfeffer.“ Manchmal gibt es für Gäste einen ganzen Oktopus. „Für die meisten ist das etwas Ausgefallenes. Aber so hat man es früher gemacht.“ Paradoxerwei­se wiederholen sich seine Gerichte nicht. Durch eine andere Zubereitungsart oder andere Kräuter und Gewürze entsteht immer wieder etwas Neues. „Ich entwickle mein Essen geschmacklich weiter, mache aber keinen Trend mit. Bei mir ist es immer authentisch.“ Seiner Linie treu zu bleiben, kann eben auch eine Zukunftsentwicklung sein.

Text: Tonia Sorrentino


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